Die christliche Botschaft als Antwort auf die Fragen des modernen Men­schen.

Vortrag von Erzbischof Stephan Burger

zum 16. Kongress „Freude am Glauben“ am 22.04.2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Blick in die Gegenwart zeigt, dass es schwieriger zu werden scheint, sich die Hoffnung nicht nehmen zu lassen. *Die politischen Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten geben vielen Menschen Anlass zur Sorge und Angst. *Mancher sieht sich vor einem angeblich herannahenden Islamismus bedroht. *Die Themen um die richtige Flüchtlingshilfe und Integration stehen mehr oder weniger verdrängt, aber nicht gelöst, nach wie vor zur Debatte. Papst Franzis­kus hat mit seiner Reise nach Lesbos eigens darauf hingewiesen.*Die vielfälti­gen politischen und ökonomischen Probleme in Afrika werden weiter zur Ta­gesordnung gehören, ebenso werden uns die ökologischen Fragestellungen weltweit weiter beschäftigen.

Und selbst im innerkirchlichen Bereich tun wir uns schwer, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Wir erleben es ja in unseren Diözesen und Pfarreien, wie das Gemeindeleben sich verändert. Die pastoralen Räume werden größer. Die Zahl der regelmäßigen Gottesdienstbesucher ist in den vergangenen Jahr­zehnten rapide gesunken. Die Zahl der Berufungen, sei es für Weltpriester wie Ordensleute, geht in unseren Breiten drastisch zurück. Hauptamtliche pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, junge Menschen für einen kirchli­chen Beruf zu begeistern, wird schwerer. Und die, die sich an der pastoralen Basis mühen, haben das Gefühl im wahrsten Sinne des Wortes mit „fortlaufen­dem Erfolg“ die Frohbotschaft zu verkünden.  Menschliches Versagen und Frust führen dazu, dass die Botschaft Jesu durch die Verkünder an Strahlkraft ver­liert.

In der gesellschaftlichen Debatte verliert die Kirche ebenfalls an Gewicht. Sie ist nicht mehr der alleinige „Sinnanbieter“. In Glaube und Religion sehen manche eher eine Bedrohung als Lebenshilfe. Gerne wird dabei auf gelebte Extreme, auf Extremismus jeglicher Art, hingewiesen, oder auf das Fehlverhalten von Amtsträgern, das dem Ansehen der Kirche auf dramatische Weise geschadet hat. Das Stichwort „Missbrauch“, um nur eines zu nennen, mag da schon genü­gen. Andere betrachten religiöses Denken und Empfinden eher mit Gleichgül­tigkeit und haben sich aus der Diskussion bereits verabschiedet, gemäß dem Motto: Bei denen ändert sich sowieso nichts.

Innerkirchliche Strömungen bringen in die Vielfalt der Medien so manche Aus­einandersetzung mit ein und zeichnen damit für Außenstehende eher ein kirch­liches Bild der Zerrissenheit und nicht unbedingt der Einheit und des Friedens. Manche mahnen unermüdlich einen Reformstau der Kirche an, die als die ewige Gestrige die Menschen nicht mehr erreiche. Andere sehen Tradition und Glaube in Gefahr, ja schon dem Zeitgeist geopfert.

Wer Kirche nur so wahrnimmt, kommt ins Grübeln, ob die christliche Botschaft noch eine Antwort auf die Fragen des modernen Menschen geben kann. Denn die christliche Botschaft trifft ja nicht in „Reinkultur“ auf die moderne Gesell­schaft, sondern durch ganz konkrete Menschen und Handlungsweisen. Und die christliche Botschaft trifft auf Menschen, die ihrerseits geprägt, belastet, irritiert, suchend und fragend oder auch kategorisch jedweder Botschaft ablehnend ge­genüberstehen.

Neben dem gerade Benannten beschreibt der Soziologe Professor Dr. Heinz Bude in seinem viel diskutieren Buch mit dem programmatischen Titel „Gesell­schaft der Angst“ in vielen kleinen Alltagsbeobachtungen die vielfältigen Ängste, die die Menschen in unserer Gesellschaft gerade umtreiben: etwa soziale Ab­stiegsängste, die keinesfalls auf den Mittelstand beschränkt sind; oder die weit­verbreitete Angst vor einem Versagen, die aus dem Zwang zu „Selbsterfindung“ und „Selbst-Optimierung“ herrührt: Ständig ist man demnach mit der Angst konfrontiert, ob der eigene Wille reicht, die eigene Geschicklichkeit passt, das eigene Auftreten überzeugt. Versagensangst rührt aber offenkundig und häufig ebenso aus den immer höheren Anforderungen, mit denen viele von uns an ihrem Arbeitsplatz konfrontiert sind.

Für Bude ist dabei dieses so weitverbreitete Grundgefühl der Angst ausgerech­net das Gefühl, das unsere Gesellschaft verbindet, vielleicht sogar das letzte verbindende Gefühl überhaupt.

Das Buch „Gesellschaft der Angst“ hat Bude im Jahr 2014 veröffentlicht. Also noch bevor das Stichwort „Angst“ die Schlagzeilen und Titel unzähliger Talk­shows, Medienberichte und Kommentare gerade im letzten Jahr dominierte – in den täglichen Diskussionen um den richtigen Umgang mit den vielen Men­schen, die aus unterschiedlichen Notlagen zu uns fliehen, und in den Diskussi­onen um die Bedrohung durch einen weltweit agierenden islamistischen Terro­rismus.

Interessant ist die Begründung, die der Soziologe gibt für diese weitverbreiteten Ängste. Denn es ist ja an sich schon erstaunlich: Dass so viel Angst herrscht, ausgerechnet in einem Land, dem es doch wirtschaftlich so gut geht, in dem wir in so stabilen politischen Verhältnissen leben und wirklich in großer Sicherheit, gerade wenn wir das im weltweiten Vergleich sehen – wenn Sie mir erlauben, das als Bischof zu sagen, der zugleich für Misereor zuständig ist.

Bude schreibt: „Die Angst kommt daher, dass alles offen ist, aber nichts ohne Bedeutung ist. Man glaubt, in jedem Moment mit seinem ganzen Leben zur Disposition zu stehen. Man kann Umwege machen, Pausen einlegen und Schwerpunkte verschieben; aber das muss einen Sinn machen und zur Vervoll­kommnung des Lebenszwecks beitragen. Die Angst, einfach so dahinzuleben, ist schwer ertragbar. Angststress ist Sinnstress, von dem einen kein Staat und keine Gesellschaft erlösen kann.“

Jüngst hat Bude mit einem weiteren Buch sozusagen „nachgelegt“. Meines Er­achtens kann auch dieses uns gut helfen, die Fragen der Menschen unserer Zeit besser zu verstehen, denen wir unsere christliche Botschaft, vor allem eine Botschaft der Hoffnung, als Antwort „anbieten“ wollen.

Und, erlauben Sie mir bitte diese Nebenbemerkung: Sich mit den „Fragen des modernen Menschen“ auseinanderzusetzen, heißt ja auch immer schon, dass wir über uns selbst nachdenken; wir Christen sind ja Teil unserer Gesellschaft, ihrer unterschiedlichen Lebensbereiche, ihrer Rationalitäten und Kulturen.

Das neue Buch von Bude trägt wieder einen programmatischen Titel: „Das Ge­fühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen“. Wieder widmet sich der Sozi­ologe also der Stimmung in unserem Land. Und nur am Rande eine seiner inte­ressanten Thesen: Schlechte Stimmung lässt sich offenbar nur mit anderer Stimmung auffangen, nicht unbedingt oder eher kaum mit Argumenten. Das erklärt meines Erachtens sehr gut die gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen.

In einem Interview zu diesem Buch wurde Bude gefragt, warum die Stimmung in unserem Land so schlecht ist und vor allem so gereizt. Und auch diese ge­reizte Stimmung, diese unübersehbare Atmosphäre des Misstrauens und der Zersplitterung, wie ich es oben schon angedeutet habe, herrscht ja nicht erst seit dem wir um den richtigen Umgang mit der großen Zahl geflohener Men­schen ringen und unsere Gesellschaft (scheinbar zum ersten Mal) vor Proble­men steht, für die sie keine rechte Lösung zu haben scheint.

Die gereizte Stimmung erklärte Bude so: Es stehen sich sozusagen „zwei Stimmungslager“ gegenüber. Die einen fürchten sich, sie haben Angst bei­spielsweise vor einer politisch nicht mehr zu steuernden Globalisierung, die viele unserer Lebensbereiche betrifft; sie haben Angst vor einer weiteren Euro­päisierung, die vermeintlich nur politische Instabilität in unserem Land hervor­bringt; Berufsperspektiven scheinen zunehmend verbaut, soziale Ungleichheit verschärft sich; auch die ökologische Krise wird dramatischer – und dann kom­men jetzt eben auch noch die vielen Flüchtlinge dazu. Ausdrücklich betont der Soziologe dabei, dass diese Stimmung, dieses Gefühl: „Alles fährt gegen die Wand“, beispielsweise unter den Wählern aller Parteien zu finden ist. Die Wahl­ergebnisse und die Wahlanalysen im Nachgang zu den vergangenen Wahlen im März brauche ich hier nicht kommentieren.

Im anderen „Stimmungslager“ sieht der Soziologe die von ihm so genannten „Entdramatisierer“, also solche, die demonstrativ und unbeirrbar alles nicht so schlimm finden. Die „Entdramatisierer“ deuten demnach einfach positiv um, wo­vor die anderen sich fürchten, worunter sie leiden: die „Unregulierbarkeit“ und die „Unübersichtlichkeit“, die tiefgreifenden, aber scheinbar alternativlosen Ver­änderungen in unserer Gesellschaft, die Auflösung vertrauter Ordnungen. Auch die unübersehbare religiöse Pluralisierung unseres Landes macht vielen Angst. Die so genannten Entdramatisierer aber reden bei alledem einfach von der gro­ßen Chance, den großen Chancen unserer Gesellschaft.

Spannend ist wiederum, was diese beiden „Stimmungslager“, die so gereizt aufeinander reagieren, verbindet: Für Bude ist es das Gefühl „der verbauten Zukunft“ oder wie er gleichfalls sagt: Es fehlt beiden Lagern an einer „positiven Idee von Zukunft“. Ich zitiere: „Die Haltung derer, die immer nur sagen: ‚Es wird schon werden‘, ist gefangen in einer Vorstellung von einer ewigen Gegenwart. Die Empörten wiederum blicken ‚apokalyptisch‘ auf die Welt.“

Sicherlich erklären solche soziologischen Theorien nicht alle Stimmungslagen und gegenwärtigen Befindlichkeiten in unserer Gesellschaft, aber nehmen wir diese Beobachtung doch durchaus einmal ernst: Dass es nämlich in unserer Gesellschaft in weiten Teilen derzeit an „positiven Ideen von Zukunft fehlt“. Für mich hat diese These eine hohe Plausibilität.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf die „gereizte Stimmung“, auf die sich mitunter feindlich gegenüberstehenden „Stimmungslager“ einge­hen, die wir leider auch in der Kirche kennen. Und seien Sie versichert, dass mir dieses vor jedem Auditorium und den unterschiedlichsten Kreisen der Kir­che ein Herzensanliegen ist:

Mich haben die Aussagen des Soziologen Heinz Bude zur „gereizten Stim­mung“ in unserer Gesellschaft an eine Passage in der Enzyklika „Evangelii gaudium“ erinnert. Papst Franziskus spricht dort (im zweiten Kapitel, Nr. 76 ff.) von den „Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen“. Diesen Versuchungen sind wir ausgesetzt, weil auch wir Christen Kinder unserer Zeit sind.

Dabei sagt Papst Franziskus beispielsweise ausdrücklich „Nein zur egoisti­schen Trägheit“ (Nr. 81), die uns Bischöfe, Priester und Laien bremst in der missionarischen Dynamik, weil wir die „Freude an der Mission“ nicht sehen, weil wir aus der eigener Trägheit nicht aussteigen.

Ausdrücklich warnt Papst Franziskus auch vor einem „sterilen Pessimismus“ (Nr. 84): Die Übel dieser Welt und auch die der Kirche, dürfen niemals eine Entschuldigung sein, um unseren Einsatz und unseren Eifer in der Verbreitung der Freude am Evangelium zu verringern. Wörtlich: „Unser Glaube ist heraus­gefordert, den Wein zu erahnen, in den das Wasser verwandelt werden kann, und den Weizen zu entdecken, der inmitten des Unkrauts wächst.“

In diesem Zusammenhang spricht unser Heiliger Vater aber auch ein sehr deut­liches „Nein zum Krieg unter uns“. Eindringlich bedauert Papst Franziskus, dass es zu viele „Kriege innerhalb des Gottesvolkes gibt“: Kriege, die aus Neid und Eifersucht, dem Streben um Macht, Ansehen und wirtschaftlicher Sicherheit geführt werden. Und ich füge hinzu: Konflikte unter uns, die aus Angst und mangelndem Gottvertrauen herrühren.

Papst Franziskus beschreibt die Ursache dieser Kriege unter uns so: Mehr als zur gesamten Kirche mit ihrer reichen Vielfalt fühlten sich dann einige Christen zu dieser oder jener Gruppe gehörig, Gruppen die sich selbst als etwas Beson­deres oder etwas Anderes empfinden.

Doch was halten wir als Christen, als Kirche diesen Phänomenen entgegen? Wie sehen unsere positiven Ideen von Zukunft für uns und unsere Kirche aus?

Entsprechend bittet Papst Franziskus alle Christen, in einer Welt, die von Krie­gen und Gewalt ebenso wie von einem verbreiteten Individualismus heimge­sucht wird, um ein Zeugnis des Miteinanders. Und er verspricht und versichert uns: In diesem Miteinander werden wir, wird unsere Botschaft (wieder) anzie­hend und erhellend. Er ermutigt uns, dieses Leben, dieses Miteinander zu le­ben! Papst Franziskus verspricht uns: „Damit alle bewundern können, wie ihr Euch umeinander kümmert, wie ihr Euch gegenseitig ermutigt und wie ihr ein­ander begleitet“.

Die Mahnung von Papst Franziskus, einer sehr disparaten Welt das Miteinander der Gemeinschaft der Kirche entgegenzuhalten, steht ohne Alternative. Aber genügt das schon, mit den oben beschriebenen Defiziten von Kirche und deren Zustand die große Perspektive aufzuzeigen, die Zukunft ermöglicht? Wir alle, die wir zu dieser Kirche gehören und in unterschiedlicher Weise in ihr Verant­wortung übernommen und wahrzunehmen haben, wissen, dass uns weiterhin große Veränderungen ins Haus stehen werden und dass das Miteinander in der Kirche ein wesentlicher und grundlegender Beitrag darstellt, um die Aufgaben der Zukunft angehen zu können, nicht nur für die Kirche eines Landes, sondern weltweit.

Gegenwärtig sind wir noch daran, scheinbar alternativlos, am Bestehenden – nicht zuletzt in struktureller Hinsicht – festzuhalten. Meiner Wahrnehmung nach bewegen sich Überlegungen zur Zukunft von Kirche zwischen einer radikalen Offenheit, mit der Gefahr, den eigenen Sendungsauftrag infrage zu stellen, ei­nerseits und der überzeugten kleinen Herde, die sich zurückzieht und sich nur noch um sich selbst kümmert, andererseits. Angst, Ängstlichkeit, Ungewissheit und Unsicherheit bestimmen deshalb bei nicht Wenigen auch das innerkirchli­che Lebensgefühl, weil sich abzeichnet, dass sich mit diesen Extremen so Zu­kunft nicht gestalten lassen wird. Weder das Eine, noch das Andere kann m. E. dem Missionsauftrag des Herrn genügen.

Was nun? Eine konkrete und fertige Antwort bzw. eine klare Vision von einem Zukunftsbild von Kirche habe ich derzeit nicht. Was ich habe, – nein, was wir haben, ist jedoch das Fundament, das Wesen von Kirche, das die Gestalt von Kirche prägt, geprägt hat und prägen wird.

Gerade erst an Ostern hat uns Papst Franziskus eindringlich und nicht zum ersten Mal daran erinnert: „Es ist die zentrale Aufgabe der Kirche, in den von der Traurigkeit bedrückten Herzen“, bei denen die Hoffnung wieder zu wecken und wieder auferstehen zu lassen, „die Mühe haben, das Licht des Lebens zu finden“.

Und es ist diese Aufgabe, das hat Papst Franziskus ebenfalls betont, die die Kirche von anderen großen, international agierenden Einrichtungen unterschei­det, die gleichfalls eine große Zahl von Anhängern haben und durchaus nach guten Regeln leben, die aber unfähig sind, die Hoffnung zu geben, nach der die Welt dürstet.

„Der Weg der Kirche ist der Weg gelebter Hoffnung“, heißt es schon im Würz­burger Synodenbeschluss „Unsere Hoffnung“, der westdeutschen Bischöfe, der vor über 40 Jahren verabschiedet wurde. Und wenige Zeilen später werden wir gemahnt, dass die Welt keine „Verdoppelung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion“ braucht. So hat Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Weltfrie­denstag und mit Blick auf das vergangene Jahr 2015, diesem Jahr der Kriege und des Terrors, aufgerufen, die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht fallen zu lassen, und uns ermutigt, die Hoffnung auf eine bessere Welt unbeirrt zu ver­künden.

Gerade in dieser aktuellen Situation aber müssen wir uns selbstkritisch fragen, ob wir dieser so zentralen Aufgabe hinreichend gerecht werden. Wir müssen uns fragen lassen und müssen uns selbst fragen, warum wir mit unserer von Gott geschenkten Botschaft der Hoffnung so wenig durchdringen: so wenig durchdringen in der „Gesellschaft der Angst“, in dieser „gereizten Stimmung“? Warum wir offenbar kaum durchdringen in dieser gegenwärtigen Atmosphäre des Misstrauens und der Zersplitterung, in einer Situation, die sich vor allem durch das Fehlen „positiver Ideen von Zukunft“ auszeichnet? Warum lassen wir uns beim Blick auf die gegenwärtige Situation lähmen, wie das Kaninchen an­gesichts der Schlange?

Dabei sollten wir uns vielleicht zu allererst fragen, ob wir in der kirchlichen Ver­kündigung oder auch in der Theologie in den letzten Jahren oder auch Jahr­zehnten zu wenig von der christlichen Hoffnungsbotschaft geredet haben, das Thema „Hoffnung“ auf der theologischen und kirchlichen Agenda vernachlässigt wurde.

Haben wir den so starken Impuls von Papst Benedikt XVI. angemessen aufge­nommen, der ja mit seiner zweiten Enzyklika „Spe salvi” gerade hier einen ganz starken Akzent gesetzt hat und uns eine so eindringliche Meditation über die göttliche Tugend der Hoffnung geschenkt hat: Gerade durch eine so kundige Auseinandersetzung mit der Umwandlung des christlichen Hoffnungsglaubens vor allem in die Wissenschaftsgläubigkeit der Neuzeit, durch die Auseinander­setzung mit der neuzeitlichen Selbstermächtigung des Menschen unter dem Banner einer von Gott gelösten Freiheit und Vernunft.

Papst Benedikt hat uns daran erinnert, dass es über den kleineren oder größe­ren Hoffnungen, die das alltägliche Leben der Menschen leiten, Gott als die große Hoffnung braucht, und daran, dass gerade das Beschenkt-werden zur Hoffnung gehört:  „Gott ist das Fundament der Hoffnung” (Nr. 31). All unsere irdischen Hoffnungen greifen zu kurz. Hoffnung im tiefsten und eigentlichen Sinn gibt es nur im Glauben an Gott – und zwar im Glauben an einen liebenden Gott.

Und Papst Benedikt XVI. mahnt in „Spe salvi“, Hoffnung immer neu einzuüben: im Gebet, in der Auseinandersetzung mit dem Leid der Welt, mit der Frage nach Gerechtigkeit, nach dem Gericht Gottes. Haben wir diese Mahnung wirk­lich ausreichend beherzigt?

Selbstkritisch sollten wir uns auch prüfen, ob unser gelebtes Zeugnis der Hoff­nung nicht auch geschmälert und verdunkelt wird, weil uns manchmal auch als Kirche die Angst so im Griff hat: die Angst, alles könnte uns verloren gehen oder „gegen die Wand fahren“. Sind wir aus Angst, etwa vor Veränderungen in der Kirche, aus Sorge um ihren Fortbestand nicht oft auch eher Zeugen man­gelnden Gottvertrauens und nicht lebendige Zeugen der Hoffnung? Verfallen wir in eine passive oder defensive Haltung, aus Angst, etwas zu verlieren?

Hatte nicht schon der Herr beim Sturm auf dem See seine Jünger gefragt: Wa­rum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?! (Mk 4, 40) Dabei sollten wir es besser wissen, die wir in der Zeit nach Ostern leben!

Wir wissen, dass die Kirche als Glaubensgemeinschaft in dieser Welt  Verände­rungen unterworfen ist, weil der Glaube in die jeweilige Zeit und für die jeweili­gen Menschen zu übersetzen und verständlich zu machen ist, damit er dem Leben dienen kann.

Dabei will ich jetzt ganz sicherlich nicht der „Entdramatisierer“ sein, der eine fraglos schwierige Zeit der Kirche, einfach nur positiv umdeuten will. Aber uns ist doch die positivste Idee unserer Zukunft geschenkt! Und wir dürfen doch darauf vertrauen, dass Christus auch in dieser Zeit mit seiner Kirche ist.

Wir wissen doch, im Evangelium verankert, dass die Pforten der Unterwelt sie nicht überwältigen können. Schon allein die Geschichte lehrt uns, dass es stets ein Auf und Ab in der Kirche gegeben hat, dass diese Kirche aber dennoch ih­ren Weg durch die Zeiten gegangen ist. Wer von uns wollte – bei aller nicht einfachen Situationsbeschreibung der Gegenwart – die Situation der Kirche im III. Reich neu durchleben? Wer von uns würde sich denn die Auseinanderset­zungen zurück wünschen, mit denen die Kirche in der Zeit des Kulturkampfes konfrontiert war? Wer wollte die Zeit einer Säkularisierung neu durchleiden, die Zeit der Revolutionen, der Religionskriege im Zuge der Reformation usw. Wir können beliebig weiter in der Geschichte zurückgehen. Die heile Welt einer Volkskirche hat es so nie gegeben.

Wie formulierte es einmal der Schriftsteller und Journalist Chesterton im Blick auf die vielfältigen Auseinandersetzungen treffend: Schon oft ist die Kirche vor die Hunde gegangen, doch stets war es der Hund, der starb!

Die Kirche ist eine Gemeinschaft die lebt, die göttliches Leben in sich trägt, so wie es jeder Getaufte tut. Dieses göttliche Leben ist unbesiegbar, ist ewig, weil der ewig ist, von dem dieses Leben ausgeht. Es gilt, für einen jeden einzelnen von uns, sich für dieses Leben bewusst zu entscheiden. Das aber bedeutet nicht, dass die äußere Gestalt der Kirche unwandelbar wäre. Sie ist wandelbar, wie wir wandelbar sind. Dazu gilt es, sich von Gott selbst wandeln zu lassen. Ist doch die Wandlung der zentrale Kern unseres Glaubens, den wir in der Eucha­ristie feiern. Wandeln lassen dahingehend, dass immer mehr Himmel und weni­ger Erde unser Leben bestimmt.

Gerade erst haben wir Ostern gefeiert und dabei vor allem gefeiert, dass wir eine im Glauben begründete Hoffnung, eine „positive Idee von Zukunft“ haben. Für uns ist diese Idee oder sagen wir besser, diese Wirklichkeit von Zukunft die positivste, die man überhaupt haben kann: Die Hoffnung auf eine ganz und gar von Gott umfangene Zukunft, eine Zukunft bei Gott, eine Zukunft in der Ge­meinschaft mit Jesus Christus.

Und diese Zukunft ist für uns auch nicht erst in eine ferne Zukunft hineingedacht oder hinein geglaubt, sondern sie beginnt bereits im Hier und Jetzt unseres irdi­schen Lebens. Wir sind uns bewusst und feiern dies, dass Gott selbst uns diese Hoffnung geschenkt hat. „Der Gott unseres Glaubens ist der Grund unserer Hoffnung, nicht der Lückenbüßer für unsere Enttäuschungen“, heißt es im Be­schluss „Unsere Hoffnung“ der damaligen Würzburger Synode. Und wir glauben und feiern, dass der Gott unseres Glaubens inmitten unserer Ratlosigkeit, in Bestürzung und Enttäuschung gegenwärtig ist. Auch wenn darauf zu vertrauen, keine einfache Sache ist und sich nicht wenige Menschen angesichts des Lei­dens und der Not in dieser Welt die Frage stellen, warum Gott dies alles ge­schehen lässt. Sich von Christus in der gegenwärtigen Situation trotz allem her­ausfordern lassen, ist das Entscheidende! Darauf zu vertrauen, dass er unsere Wege begleitet, auch durch alle dunklen Schluchten und Täler der Ungewiss­heit hindurch. Dazu hat er uns seinen Stock und seinen Stab gegeben, wie es im Ps 23 heißt, der für uns Zuversicht ist, Stock und Stab, den wir im Kreuz Jesu Christi erkennen, an dem wir uns unablässig aufrichten und emporziehen können. Sein Kreuz als Zeichen der Erlösung, als Stütze, als Krücke auf der Wanderung durch Welt und Zeit.

Wenn auch keiner die Zukunft kennt und mit Bestimmtheit sagen kann, wie sich Gesellschaft und Kirche wirklich noch weiterentwickeln werden, so darf das Eine und Grundlegende für uns als Christen nie aus dem Blickfeld geraten, nämlich unser von Gott geoffenbarter Glaube, unsere Beziehung zu Jesus Christus.

So bin ich tief überzeugt, dass wir im Miteinander der Glaubenden lebendige Zeugen der Hoffnung sein können und sind: Zeugen für eine Hoffnung, die keine Illusion ist und keine billige Vertröstung, sondern eine Hoffnung, die aus der persönlichen Beziehung zu Christus rührt; aus der persönlichen Beziehung zu Christus, die Kraft gibt und Mut schenkt, und die uns befähigt unser Leben und Zusammenleben ganz in seinem Sinne zu gestalten. Leben wir selbst aus den Begegnungen mit dem auferstanden Herrn, der sich uns im Evangelium offenbart, der sich im Empfang der Sakramente, angefangen mit der *Taufe, auf besondere Weise zuwendet und uns in sein Erlösungswerk hinein nimmt.

Leben wir aus der Versöhnung und Barmherzigkeit, die uns der Herr im *Bußsakrament schenkt und uns befähigt, ebenfalls Versöhnung und Barmher­zigkeit zu schenken.

Leben wir aus dem Hl. Geist, der uns in der *Firmung besonders zu Teil wurde! Leben wir aus der Gnade, die uns, sei es durch das Sakrament der *Ehe oder der *Weihe, zuteil geworden ist.

*Leben wir aus dem Gebet und der Anbetung, die uns tiefer in das Geheimnis der göttlichen Gegenwart einführt.

Vertiefen wir uns jedes Mal neu bei der Feier der *hl. Eucharistie in das Ge­heimnis seiner göttlichen Liebe.

Nicht zu vergessen das Sakrament der *Krankensalbung, das uns auch in den extremen Situationen des Lebens die Kraft und Barmherzigkeit Gottes zusagt.

Leben wir, was wir auf vielfältige Weise empfangen dürfen. Und so vermag uns Christus über seine selbst erlittene und durchlebte Angst am Gründonnerstag und Karfreitag hinzuführen in seinen österlichen Sieg, in sein österliches Licht, das uns daran erinnern will, dass wir uns – bei allem, was auf uns zukommt, – nicht zu fürchten brauchen, weil seine Zusage gilt, alle Tage bei uns zu sein.

Wenn wir Jesu Wort ernst nehmen, wenn wir uns von ihm führen und leiten las­sen, wenn sein Evangelium wirklich Maßstab unseres Lebens ist, wächst da­raus auch das Vertrauen im Umgang mit dem anderen, mit dem Nächsten, der sein Leben ebenfalls in Christus verwurzelt und verankert, ja gegründet sieht.

Unser Glaube an Christus vermag nicht ohne Weiteres das Äußere, das Sicht­bare unserer Welt zu verändern oder Menschen um uns herum oder die politi­schen Verhältnisse oder das Elend vieler.

Dieser Glaube mag aber zuallererst uns selbst zu verändern und dadurch unser Verhältnis zum Fremden, zum anderen, der mir zum Nächsten wird. Und er hilft mir, auch dem, der nicht meiner Meinung und Auffassung ist, so zu begegnen, dass ich in ihm immer noch Christus erkenne, diesen Christus, der sich für mich hingegeben hat. So will Christus durch unsere Mitwirkung die Welt gestalten.

Und vieles geschieht hierbei nicht einfach offenkundig sichtbar auf der weltpoli­tischen Bühne, so dass wir es mit jeder Nachrichtensendung gleich sehen könnten, sondern vieles geschieht im Verborgenen, aber deswegen nicht weni­ger wirkungsvoll!

Sich diesem Glauben zu stellen, ist ein gewaltiger, ein großer Anspruch, der nicht in persönlicher Anstrengung gipfelt, als ob ich dies selbst erreichen könn­te, sondern in der von Christus geschenkten Liebe. Diese seine Liebe ist Aus­gangspunkt und Erfüllung dessen, wie ich lebe und was ich wie tue.

Mehr und mehr gewinnt die Aussage einer hl. Theresia von Avila Bedeutung für mein persönliches Leben und Wirken: Sie kennen alle diese Zusage:

Nichts soll Dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Gott allein genügt!

Oder um es mit dem Hymnus auszudrücken, den uns die Kirche regelmäßig in der ersten Sonntagskomplet an die Hand gibt:

Christus, göttlicher Herr, dich liebt, wer nur Kraft hat zu lieben,

unbewusst, wer dich nicht kennt,

sehnsuchtsvoll, wer um dich weiß.

Christus, du bist meine Hoffnung,

mein Friede, mein Glück, all mein Leben;

Christus, dir neigt sich mein Geist;

Christus, dich bete ich an.

Christus, an dir halt ich fest

mit der ganzen Kraft meiner Seele;

Dich, Herr, lieb ich allein, suche dich, folge dir nach.

Auf dieser Grundlage, in diesem Glauben fest verwurzelt, haben wir keinen Grund, uns die Hoffnung nehmen zu lassen:

die Hoffnung auf ein gutes Miteinander,

die Hoffnung auf eine bessere Welt,

die Hoffnung, dass der Herr in und mit seiner Kirche ist,

die Hoffnung auf Erlösung und auf ein Leben in der vollendeten Gemeinschaft Gottes.

Beten wir auch in diesem Sinne füreinander und miteinander!

Ja, lassen wir uns die Hoffnung nicht nehmen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!