Werner Münch, Ministerpräsident a.D.

1. Einleitung

der diesjährige Kongress „Freude am Glauben“ steht unter der Fragestellung „Was gibt dem Menschen Hoffnung für die Zukunft?“ Nach dem Eröffnungsreferat durch Herrn Erzbischof Burger ist es jetzt meine Aufgabe als Politikwissenschaftler, eine staatliche Ordnung „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zu beschreiben und Folgerungen daraus abzuleiten. Dabei befasse ich mich zuerst mit dem Thema Verfassung und Gottesbezug und danach mit der Situation in Politik, Gesellschaft und Kirche anhand dreier ausgewählter Themenbereiche. Ich beginne mit dem Thema:

2. Der Gottesbezug in unserer Verfassung

Im Sommer 1948 waren die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder von den Militärgouverneuren ermächtigt worden, „eine verfassungsgebende Versammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung einzuberufen …“ (Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd 1, Tübingen 1951, S. 1). Die Ministerpräsidenten nannten diese konstituierende Versammlung „Parlamentarischer Rat“ und das auszuarbeitende Dokument „Grundgesetz“. (Jahrbuch, a. a. O., S. 3). Nach der Wahl der Abgeordneten in den Landtagen trat der Rat mit 65 Mitgliedern am 1. September 1948 zur Konstituierung zusammen, wählte Konrad Adenauer zum Präsidenten und gab dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der 3. Lesung des Plenums am 8. Mai 1949 die endgültige Gestalt. Am 23. Mai 1949 wurde es verkündet und trat in Kraft. Es beginnt in der Präambel mit dem Satz: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“ (Jahrbuch, a. a. O., Sn. 4 – 20). Erörtern wir seine Bedeutung in drei Punkten:
Erstens: Aus den Diskussionen im Parlamentarischen Rat geht eindeutig hervor, dass unsere Verfassung ein Beweis der Lernfähigkeit aus den Fehlern der Vergangenheit der deutschen Geschichte war, auch der Verleugnung Gottes und christlicher Grundwerte. Das Inferno des Nationalsozialismus war das stärkste Motiv zur Aufnahme dieses Gottesbezuges, um „totalitären Staatsmodellen eine Absage“ zu erteilen (Tine Stein, „‘Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott‘…: Christliches Menschenbild und demokratischer Verfassungsstaat“, in: Säkularisierung und Resäkularisierung in westlichen Gesellschaften, hg. von M. Hildebrandt u. a., Wiesbaden 2001, Sn. 185 – 201, S. 192).
Zweitens: Der bekannte Verfassungsrechtler Josef Isensee hat in seinem Aufsatz „Christliches Erbe im organisierten Europa“ (in: Juristenzeitung 70, Sn. 745 – 754) den Gottesbezug in unserer Verfassung bezeichnet als „Ausdruck der Demut und des Respekts vor den unverfügbaren geistigen Mächten der Religion und der Sittlichkeit, die er nicht zu ersetzen vermag“ (ebda., S. 747) und wie folgt zusammengefasst: „Der Universalitätsanspruch des Christentums ist heute übergegangen auf die politischen Ideen, die europäischem Boden entstammen, aber der ganzen Menschheit zugedacht sind: Menschenrechte und Demokratie. Im Menschenbild des Christentums, das auf Schöpfung und Erlösung gründet, sind wesentliche Züge der modernen Menschenrechte angelegt: die Einheit des Menschengeschlechts, das auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeht, die Gleichheit aller, die von Gott erschaffen sind, die Einmaligkeit jedes einzelnen Menschen, in dem sich ein Gedanke Gottes verkörpert, seine Personalität und Eigenverantwortung. … Die dignitas humana (die menschliche Würde, d. Verf.) kommt dem Menschen als Person zu. Im christlich-jüdischen Glauben ist er das Ebenbild Gottes, der ihn geschaffen hat. Die von seinem Schöpfer verliehene Würde erneuerte sich in der Menschwerdung Gottes.“ (ebda., Sn. 752 f.). Also: Der Gottesbezug in unserer Verfassung bringt ein Selbstverständnis zur Geltung im Sinne eines Programms mit einer Verpflichtung des Staates und seiner Bürger, weil nämlich, im Sinne von Kardinal Sarah, „die Verfinsterung des Göttlichen die Erniedrigung des Menschlichen“ bedeutet“ (Robert Kardinal Sarah und Nicolas Diat, Gott oder nichts – Ein Gespräch über den Glauben, fe – medienverlag 2015, S. 255). Deshalb können wir auch die Begründung für das Entfernen der Kreuze aus deutschen Gerichtssälen, ein Urteil würde „im Namen des Volkes“ und nicht im Namen Gottes verkündet, nicht akzeptieren, weil auch ein richterliches Urteil „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gesprochen wird. Und schließlich:
Drittens: In Verfassungen unterscheidet man zwischen der invocatio Dei, also der Anrufung Gottes, und, so wie in unserem Grundgesetz, der nominatio Dei, also der bloßen Nennung Gottes, wodurch die Fragen über die Natur und die Würde des Menschen eine besondere Bedeutung erhalten. Im Verständnis dieser Naturrechts-Frage ist uns, wie so oft, Papst Benedikt XVI. eine große Hilfe, der uns darauf hinweist, dass es selbstverständlich Naturgesetze im Sinne physikalischer Funktionen gibt, aber das eigentliche Naturgesetz ein moralisches Gesetz sei. Die Natur sei nicht Zufall oder Montage, sondern Schöpfung. Jede staatliche Verfassung ruhe auf Grundlagen, die sie selbst nicht vorschreiben kann, sondern voraussetzen muss ( s. hierzu besonders folgende Schriften von Joseph Ratzinger: „Der Mut zur Vollkommenheit und zum Ethos“, in: „FAZ“, 4. 8. 1984; „Abbruch und Aufbruch“…“, in: Eichstätter Hochschulreden, 61/1988 und „Wendezeit für Europa“?, 1992)
Und in einer seiner letzten großen Reden als Papst führte er aus: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und sich nicht selbst gemacht hat“ (Rede von Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag am 22. 09. 2011).

Meine Damen und Herren,
mit den letzten Aussagen haben wir eine gute Überleitung zum nächsten Teil unseres Themas hergestellt, nämlich zu der Frage, in welcher Weise Politik, Gesellschaft und Kirche die genannten Grundlagen beachten und umsetzen. Die nächste Frage also lautet:

3. Wie geht die Politik mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ um?

Ich beantworte diese Frage anhand von Ehe und Familie, Abtreibung und Suizid-Assistenz.

3.1 Ehe und Familie

Im Artikel 6 unseres Grundgesetzes heißt es: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Davon kann heute leider überhaupt nicht mehr die Rede sein. Seit 1999 haben die amtierenden Bundesregierungen die Ideologie des Gender Mainstreaming ohne Debatte und Beschluss des Deutschen Bundestages „zum Leitprinzip und zur Querschnittsaufgabe der deutschen Politik“ erklärt. Wir wissen, dass die Behauptung, es ginge hierbei um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, eine grobe Irreführung ist. Stattdessen sind die Inhalte dieses Programms: Es gibt kein biologisches, sondern ein von jedem Menschen selbst zu bestimmendes soziales Geschlecht. Sexualität und Zeugungsabsicht müssen strikt voneinander getrennt und alle Formen von Partnerschaften der heterosexuellen Ehe von einem Mann und einer Frau gleichgestellt werden. Im Zusammenspiel zwischen Politik und Rechtsprechung ist Ungleiches gleich gemacht worden. Ehe und Familie sind auf eine Verantwortungsgemeinschaft reduziert worden, die heute alle Formen des Zusammenlebens umfasst. Die Ehe von Mann und Frau ist nur noch eine Lebensweise unter vielen, bei der noch zusätzlich gilt, dass Frauen nur dann als vollwertig gelten, wenn sie außerhalb der Familie berufstätig sind. Tätigkeiten zu Hause zur Erziehung der Kinder werden gering geschätzt. Alle Vorhaben und Entscheidungen, die Ehe anders zu definieren als sie über Jahrhunderte in zahlreichen Kulturen verstanden und gelebt wurde, ist nach George Weigel „nichts anderes als der Versuch, die menschliche Natur mit den Mitteln staatlicher Gewalt und wenn nötig auch mit Zwang neu zu definieren … Ein Staat, der Gesetze zur ‚Homo-Ehe‘ erlässt, überschreitet seine Kompetenz und fügt damit der Zivilgesellschaft, der er doch dienen soll, schweren Schaden zu“ (George Weigel, Die Erneuerung der Kirche, Media Maria 2013, S. 327).
Unser Fazit lautet, dass weder die in unserer Verfassung verankerte „Verantwortung vor Gott“ noch der für Ehe und Familie gesetzlich garantierte „besondere Schutz des Staates“ Realität sind.

3.2 Abtreibung

Nach wie vor ist die Abtreibung bei uns verboten, wenn auch straffrei. Das Statistische Bundesamt meldet seit 1996 im Durchschnitt pro Jahr 130.000 Fälle, die Dunkelziffer wird noch einmal genauso hoch geschätzt. Art. 1 (1) unseres Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Sie tut dies aber nicht! Aus dem „Recht des ungeborenen Kindes auf Leben“ hat sich ein „Rechtsanspruch auf Abtreibung“ entwickelt (Mechthild Löhr, „Der Abschied vom Tötungsverbot“, in: B. Büchner u. a., Hg., Abtreibung – Ein neues Menschenrecht?“ Sn. 183 – 208, bes. Sn. 183 – 185). In unserer Gesellschaft ist die Kultur des Lebens verloren gegangen, und dafür ist der Staat mitverantwortlich, weil er durch eine flächendeckende Versorgung mit einem Beratungsschein die Voraussetzungen für eine Abtreibung geschaffen hat und damit zum Helfer zur Tötung von Ungeborenen geworden ist, obwohl ihn das Gesetz zum Gegenteil verpflichtet. Wie kann eigentlich eine Regierung in der Flüchtlingsfrage eine Willkommenskultur für alle Menschen auf der Welt propagieren und gleichzeitig ein sog. „Recht auf Abtreibung“, d. h. eine millionenfache Tötung von ungeborenen Kindern, zulassen und unterstützen? Von der Erfüllung des Verfassungsgebotes „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ kann also auch bei diesem Thema keine Rede sein.

3.3 Suizid-Assistenz

Anfang November 2015 hat der Deutsche Bundestag einen neuen § 217 im Strafgesetzbuch mit folgendem Wortlaut beschlossen: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des im Absatz 1 genannten ist oder diesem nahesteht.“ D. h. also: Suizid und Beihilfe dazu bleiben, wie bisher, straffrei. Lediglich eine geschäftsmäßige, d. h. auf Wiederholung und Gewinn angelegte Suizid-Beihilfe ist ebenso verboten wie eine aktive Sterbehilfe. Der bereits zitierte Kardinal Sarah sagt hierzu treffend: „Die Euthanasie ist das schrillste Anzeichen einer Gesellschaft ohne Gott, einer untermenschlichen Gesellschaft, die die Hoffnung verloren hat“ (Sarah/Diat, a. a. O., S. 227).
Und er folgert daraus „Wenn wir aus der Kultur des Todes nicht aussteigen, läuft die Menschheit in ihr Verderben. Zu Beginn dieses dritten Jahrtausends gilt die Vernichtung von Leben nicht mehr als Barbarei, sondern als ein Fortschritt der Zivilisation; das Gesetz gibt unter einem Recht zur individuellen Freiheit vor, dem Menschen die Möglichkeit zu geben, seinen Nächsten zu töten. Die Welt könnte zu einer regelrechten Hölle werden.“ (Sarah/Diat, a. a. O., S. 228).
Der Befund, wie der Staat seine „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ wahrnimmt, ist also in allen drei aufgezeigten Bereichen bedrückend.
Und da wir wissen, dass politische Entscheidungen und die Rechtsetzung häufig eine Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen sind, schauen wir uns jetzt kurz die Situation in unserer Gesellschaft an.

4. Wie geht die Gesellschaft mit der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ um?

Nach meiner Beurteilung sind die gesellschaftlichen Krisensymptome bei uns bedrohlich geworden, unterstützt von zunehmenden Fernseh-Primitivsendungen aus der Verblödungs-Industrie mit hohen Einschaltquoten wie z. B. „Dschungelcamp“ oder „Bauer sucht Frau“. Welche unserer Lebensgewohnheiten weisen denn eigentlich noch auf eine christliche Ethik hin? Ist es der allgemeine Glaubensverlust, der rapide abnehmende Besuch von Gottesdiensten, der Rückgang beim Em­pfang von Sakramenten, Egoismus, Abbau menschlicher Sensibilität und sozialer Solidarität, Macht, Geld, Sex, totales Lustprinzip, Disqualifikation der Ehe und des Kindeswohls mit Verächtlichmachen der ehelichen Treue, Liebe und Verantwortung, Patchwork-Familien, Homo-Ehen, hohe Scheidungsraten, Abbau von vertrauensvollen Eltern-Kind-Beziehungen, Gleichgültigkeit gegenüber den sexuellen Verführungen unserer Kinder in Kindergärten und Schulen, Abtreibung als Menschenrecht, Verachtung von Behinderten, Wegschieben und Aussondern von alten Menschen, weil sie zu teuer und zu lästig sind, ungebremste Versuche zur Optimierung des Menschen durch grenzenlose Gen- und Biotechnik-Forschung und -Anwendung? Also was? Wir haben zahlreiche Gründe zum Nachdenken über unsere immer wieder von den Politikern viel beschworenen sog. Werte, die es in der Realität doch kaum noch gibt! Aber allein mit einem solchen Befund kommen wir nicht weiter, denn Ernst-Wolfgang Böckenförde hat Recht mit seinem Diktum, auf das er uns schon vor ca. 40 Jahren hingewiesen hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60). Es nutzt aber dann nichts, wenn wir nicht bereit sind, nach diesen Voraussetzungen zu handeln und zu leben.
Interessant bleibt jetzt noch die dritte Frage, ob wir katholische Christen heute in unserem Bekenntnis zur Würde des Menschen „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ von unserer Kirche genügend unterstützt werden. Wir fragen also nach der

5. Haltung der katholischen Kirche zu den drei Bereichen

5.1 Ehe und Familie

Schon der große Familienpapst Johannes Paul II. hat während seines Pontifikats die Gender-Ideologie als eine „neue Ideologie des Bösen“ bezeichnet, Papst Franziskus als „dämonisch“. Warum wird diese klare Position nicht ohne Wenn und Aber vertreten? Warum brauchen wir plötzlich bei der Ehe, die ein Sakrament ist und bleibt, nach Kardinal Marx „neue Lösungen“ oder einen „Paradigmenwechsel“? Wieso muss „der Kern der Wahrheit“ neu freigelegt werden? Jesus Christus hat uns doch geoffenbart, was seine Wahrheit ist, und die ist zweifelsfrei und völlig zeitunabhängig. Oder habe ich da alles falsch verstanden?
Was hat denn ein völlig überflüssiger Flyer „Geschlechter-sensibel: Gender katholisch gelesen“ von der katholischen Frauenseelsorge und Männerarbeit, mit dem Logo der DBK versehen, für ein Ziel, wenn er lediglich den falschen Eindruck erweckt, dass Gender die Chancengleichheit von Frauen und Männern herstellen will? Gottlob haben sich mehrere Bischöfe wie z. B. Kardinal Cordes und die Bischöfe Voderholzer und Algermissen dagegen verwahrt und ausdrücklich betont, dass sie dazu auch gar nicht befragt worden sind. Ja, wer hat den Flyer denn initiiert, gebilligt und finanziert, und warum ist bis heute keine Distanzierung durch die DBK erfolgt? Unsere Kongresse mahnen seit Jahren ein Hirtenwort zur Gender-Ideologie an, – bis heute leider vergeblich! Und ein solches Hirtenwort wäre wirklich notwendiger gewesen als eins zu den drei Landtagswahlen am 13. März. – zwei andere Fragen möchte ich noch kurz erwähnen:
Erstens: In Berlin haben Betreuer und Pfarrer in Flüchtlingseinrichtungen mehrfach öffentlich darüber berichtet, dass Christen es nicht wagen, ihren christlichen Glauben zu bekennen, weil sie bedroht und tätlich angegriffen werden. Sehr bald nach diesen Warnungen wäre es angebracht gewesen, wenn der Berliner Erzbischof Heiner Koch zuerst christliche Flüchtlinge – und von mir aus danach Lesben und Schwule – in Flüchtlingsheimen besucht hätte und nicht umgekehrt. Seine nach dem Besuch bei christlichen Flüchtlingen geäußerte Sorge über gewalttätige Ausschreitungen gegen sie und seine Forderung nach deren besserem Schutz hätten, wenn sie früher geäußert bzw. erhoben worden wären, nicht nur ein bedeutendes öffentliches Signal gesetzt, sondern wären auch für die Betroffenen hilfreicher gewesen. Und ich gestehe ebenso freimütig: Wenn Papst Franziskus bei seinem Besuch der Flüchtlingseinrichtungen auf der Insel Lesbos in Griechenland am 16. April nicht ausschließlich muslimische Familien aus Syrien, sondern auch christliche mit nach Rom genommen hätte, dann wäre dies ein ermutigendes und hoffnungsvolles Zeichen für die vielen verfolgten Christen in diesem Land gewesen. Der Hinweis auf ungültige Papiere von vorgeschlagenen christlichen Familien kann nicht überzeugen.
Zweitens: Die ständige Verharmlosung des Islam durch einige Bischöfe mit unterschiedlichen Begründungen kann ich, um ehrlich zu sein, inzwischen nicht mehr hören. Wer immer noch behauptet, dass Islamismus nichts mit dem Islam zu tun hat, der kann uns auch gleich zusätzlich darüber belehren, dass Alkoholismus nichts mit Alkohol zu tun hat. Es ist selbstverständlich, dass bei uns das Recht auf Religionsfreiheit für alle gelten muss, für Christen wie für Muslime und alle anderen. Aber wir sollten schon den Mut haben darauf hinzuweisen, dass in unserem Land Christen und Juden von Muslimen angegriffen werden und nicht umgekehrt.
Und im übrigen schlage ich vor, dass sich unsere Bischöfe mehr zu Fragen des Glaubens äußern und sich in der Politik vor allem auf Probleme wie Zerschlagung der Familie, sexuelle Verführung der Kinder in den Schulen, Abtreibung, „Pille danach“ oder verlassene Scheidungskinder konzentrieren. Denn was macht es für einen Sinn, wenn z. B. Erzbischof Schick fordert, dass gegenüber der AfD deutlich gemacht werden müsse, „was unsere demokratischen und christlichen Positionen sind, was geht und was nicht“, wenn er diese Forderung nicht gleichzeitig gegenüber allen Parteien erhebt, die keine christlichen Positionen vertreten? Und wenn ein Kardinal in der Öffentlichkeit erklärt, er sehe keine Spaltung in unserer Gesellschaft, dann ist das bestenfalls ein Beitrag aus einer gesellschaftlichen Isolierstation. Es gibt ja nicht einmal mehr einen Diskurs in Kirche und Gesellschaft, der diskriminierungsfrei ist.

5.2 Abtreibung

Hier möchte ich mich auf den Hinweis beschränken, dass unsere Kirche immer wieder mutig in der Öffentlichkeit und auch in Gesprächen mit Politikern darauf hinweisen müsste, dass sie die Tötung ungeborenen Lebens verurteilt. Dass dies in eindrucksvoller Weise von Bischof Voderholzer und einigen Weihbischöfen beim letzten „Marsch für das Leben“ am 19. September 2015 in Berlin unter Beweis gestellt worden ist, haben wir mit großer Dankbarkeit ebenso zur Kenntnis genommen wie das Plädoyer des Rottenburger Weihbischofs Thomas Maria Renz für ein neues Denken und Handeln in der Schwangerenberatung. Solche Bekenntnisse von unseren Hirten würden wir gerne noch öfter hören. Sie sind dringend erforderlich und nicht die Ablehnung von 1000plus.

5.3 Suizid-Assistenz

Nach der in einem vorhergehenden Kapitel zitierten Entscheidung des Deutschen Bundestages zur Erlaubnis der Suizid-Assistenz haben Kardinal Marx und der damalige ZDK-Vorsitzende Alois Glück, zusammen mit Repräsentanten der EKD, eine Pressemitteilung herausgegeben, die einen katholischen Christen geradezu fassungslos macht. Sie feiern darin nämlich diese Entscheidung als „ein starkes Zeichen für den Lebensschutz und für die Zukunft unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhalt“. Noch ein Jahr vorher stand in einem Flyer der deutschen Bischöfe unter dem Titel „Sterben in Würde“: „Aus ethischer Sicht ist die Beihilfe zur Selbsttötung – sowohl durch Organisationen als auch durch Ärzte oder andere nahestehende Personen – abzulehnen“. Jetzt finden wir keinen Hinweis mehr darauf und auf die religiöse Ethik des Christentums, dass nämlich jedes Leben ein Geschenk Gottes ist und nicht der Verfügbarkeit des Menschen unterliegt. Diese Stellungnahme unserer Kirche ist eine traurige Niederlage für den Schutz des menschlichen Lebens und den Zusammenhalt einer kultivierten Gesellschaft, über die wir erschüttert sind.

Meine Damen und Herren,
für unseren Einsatz für Ehe und Familie brauchen wir ebenso wie für unseren Kampf für die Erhaltung des menschlichen Lebens und seiner Würde Verbündete. Der erste und wichtigste Verbündete ist unsere Kirche, und auf sie müssen wir uns verlassen können. Anpassung an den Zeitgeist und Anbiederung an die Politik helfen uns nicht weiter, sondern machen uns immer schwächer. Wenn Tradition und Lehre gegen den Zeitgeist ausgespielt werden, haben wir bereits im Ansatz die Auseinandersetzung mit der säkularisierten Welt verloren. Und die Forderung nach einer „Verheutigung des Evangeliums“ halten wir für ebenso abwegig wie die Bemerkung, wir seien keine „Filiale von Rom“. Unser Glaubensverständnis ist ein anderes.

6. Schlussbemerkungen

Meine Damen und Herren,
wir sind hierher gekommen, um unseren Glauben zu bekennen. Wir versuchen, die Glaubens-Wahrheiten zu leben und mutig zu vertreten, um damit unserer „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gerecht zu werden. Gerade deshalb lehnen wir auch jede Gewalt und Intoleranz ab. Ich bin kein Mitläufer bei Pegida und auch kein Mitglied der AfD. Ich gehöre auch zu denen, die jede Gewalttat gegen Flüchtlinge und Anschläge auf Flüchtlingsheime entschieden verurteilen. Aber ich erwarte von der Politik ebenso klare Positionen, wenn die linksextremistische Antifa fremdes Eigentum beschädigt, Autos abfackelt und Geschäfte plündert – wir haben mehrere solcher Aktionen gegen Personen wie z. B. bei den Frauen von Beverfoerde, Kelle, von Storch und Kuby sowie Graf von Brandenstein-Zeppelin und deren Eigentum in der letzten Zeit erlebt. Jeder Politiker, der sich berechtigt gegen jeden Generalverdacht gegenüber Ausländern wehrt, darf dann nicht gleichzeitig mit diesem Generalverdacht z. B. eine Partei belegen, indem er sie als „Pack“ (Sigmar Gabriel), „eine Bande von Zynikern und geistigen Brandstiftern“ (Thomas Oppermann) oder als „Dumpfbacken“ (Wolfgang Schäuble) bezeichnet. Und auf öffentliche Empfehlungen von Priestern an diejenigen, die die AfD wählen, sie sollten sofort aus der katholischen Kirche austreten, können wir gut verzichten. Das entscheiden wir in eigener Verantwortung. Ob die etablierten Parteien und auch zahlreiche Kirchenvertreter wohl irgendwann zu der Erkenntnis kommen, dass pauschale Diffamierungen nur zu einem weiteren Anstieg von Protestwählern führen werden? Und wenn unbescholtene Menschen, die sich für den Erhalt von Ehe und Familie und den Schutz des menschlichen Lebens einsetzen, in einem Theaterstück mit einem Massenmörder und einer Rechtsterroristin in Zusammenhang gebracht und die dafür verantwortlichen sog. Künstler anschließend mit Verweis auf die „Freiheit der Kunst“ vom Landgericht in Berlin von der Anklage freigesprochen werden, dann ist das ein großer Skandal. Es gab kein Wort dazu von einem hohen Kirchenvertreter, keins vom Bundesminister der Justiz und auch keins von der Bundeskanzlerin. Es kann doch nicht sein, dass eine deutsche Regierungschefin bei übler Schmähung und Beleidigung von Jesus Christus und Papst Benedikt im eigenen Land, wie in der Vergangenheit häufiger geschehen, den Mund hält, aber bei einer Schmähkritik gegen einen Despoten eines anderen Landes, der brutale Kriege führt und im Innern alle Kritiker und Gegner verfolgen und einsperren lässt, in demütigen Kotau verfällt, nur um ihre umstrittene Flüchtlingspolitik zu retten. EU-Milliarden, baldige Visafreiheit und beschleunigter EU-Beitritt sind doch wahrlich schon genug Erpressungen!

Und ein Letztes: Ich habe mich bisher nicht damit abgefunden und werde es auch zukünftig nicht tun, dass in einer Demokratie Bürger, die nicht dem „säkularen mainstream“ und der verordneten „political correctness“ folgen, als ultrakonservativ und rechtspopulistisch abgestempelt und als Nazis und Faschisten beschimpft werden. Für unser Bekenntnis zur herkömmlichen Ehe und Familie, für den Schutz des ungeborenen Lebens sowie für behinderte und alte Menschen lassen wir uns nicht, von wem auch immer, in die rechte Schmuddelecke drängen.

Meine Damen und Herren,
ich komme zum Schluss. Wir fühlen uns der biblischen Wahrheit verpflichtet, und daraus schöpfen wir unsere Hoffnung und Zuversicht. Der Herr hat uns die Erlösung versprochen, wenn wir ihm treu bleiben, und darum bemühen wir uns. Dabei finde ich das Wort des Passauer Bischofs Stefan Oster in seinem Buch Person-Sein vor Gott ( S. 372 ) sehr zielführend und hilfreich, das lautet: „Christus liebt uns, wie wir sind. Aber er will nicht, dass wir bleiben, wie wir sind.“ Wir leben nicht von der Zustimmung der Welt, sondern in der Nachfolge Christi. Und mit der Freude über seine Botschaft leben wir „in der Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Gott sowie die Hirten und Priester unserer Kirche mögen uns helfen, standhaft zu bleiben und diesen Weg unbeirrt weiterzugehen, – mit ihnen!

Ich danke Ihnen!