Michaela Koller,
Kongress „Freude am Glauben“, 23. April 2016

„Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ 1 Kor 12, 26

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Diese Worte aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther beschreiben die christliche Gemeinschaft und rufen zur Einheit in der gegenseitigen und unterschiedslosen Anteilnahme auf, im Leid wie in der Freude. Für Christen ist dieser biblische Einheitsgedanke eine ewige Mahnung, den leidenden Brüdern und Schwestern beizustehen. Aus der Erkenntnis, dass schließlich alle Menschen gleich sind hinsichtlich ihrer Würde, und sie Personen mit gleichen Rechten sind, bemühen sich Christen – über die Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsam – nach Kräften, von Unrecht Betroffenen Leid abzuwenden. Sie tun dies ohne Unterscheidung nach Religion oder anderer Merkmale wie Nationalität oder Geschlecht. Umgekehrt engagieren sich ebenso Angehörige aller Religionen und Nichtgläubige für die Verwirklichung des Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Organisation, für die ich tätig bin, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – kurz IGFM – setzt sich weltweit unterschiedslos für Religionsfreiheit ein. Dazu gehört das Recht auf Religionswechsel, ebenso wie das Recht auf Werbung für seinen eigenen Glauben.

Betrachtet man die absoluten Zahlen, so ist das Leid der Christenheit noch nie so groß gewesen: Schätzungen gehen von bis zu 100 Millionen Christen weltweit aus, die benachteiligt, bedrängt, verfolgt oder ermordet werden, letztlich weil sie sich zu Jesus Christus bekennen. Als Haupttriebkraft der zunehmenden Verfolgung gilt der islamische Extremismus, der weltweit und auch in unserer westlichen Gesellschaft immer deutlicher hervortritt, auch in Deutschland in Flüchtlingsunterkünften gegen Christen und andere Minderheiten gerichtet.

Sie werden alle inzwischen den arabischen Buchstaben „Nun“ kennen.

Damit beginnt Nasrani oder Nasara. In der Mehrzahl bedeutet das Nazarener. So werden die Christen im Koran bezeichnet. Im Jahr 2014, als der Islamische Staat in Mossul, beim historischen Ninive, einfiel, schmierten die Kämpfer dieses Zeichen an die Haustüren der Christen. Muslimische Nachbarn halfen mit, die richtigen Türen auszumachen und lieferten damit die Hausbewohner aus. Die Terrormiliz nahm sie dann gefangen und zwang sie zum Glaubenswechsel. In vielen Fällen langte den Schlächtern nicht einmal dieser aus, um Erbarmen mit den Menschen zu haben. Sie führten sie wie die Lämmer zur Schlachtbank.

Der syrisch-orthodoxe Erzbischof Nicodemus Daoud Matti Sharaf befürchtet, dass in zwei Jahren die letzten Christen ihre irakische Heimat verlassen haben werden. Der Journalist und Friedensbotschafter Simon Jacob vom Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland – der Verband ist bei diesem Kongress auch mit einem Stand vertreten – war kürzlich an der Front. Seine Eindrücke schilderte er in einem Interview mit mir:

 

„Ich sah in der Gegend regelrechte Schlachthäuser, wo Frauen, Jesidinnen, Christinnen und Schiitinnen als Sklavinnen verkauft wurden. Sogar Bürger aus arabischen Staaten wie Saudi-Arabien kauften sie. In diesen Häusern wurden Männer, Frauen und Kinder hingerichtet. Meiner Meinung nach war es für Kinder besonders brutal: Sie wurden einfach mit dem Gewehrkolben erschlagen, weil sie nach der Doktrin des IS keine Kugel wert sind.“

 

Im Angesicht dieser Barbarei wird im Westen seit Jahren diskutiert, was man tun kann. Vorschläge sind klar formuliert: Schutz der Minderheiten in Kantonen in Syrien, wo es keine zusammenhängenden Siedlungsgebiete der Christen und Jesiden gibt und eine Schutzzone im Kernland der assyrischen und chaldäischen Christen sowie der Jesiden in der Ninive-Ebene.

Auf lange Zeit, so schätzen Beobachter wie Jacob, wird ein Zusammenleben mit den sunnitischen muslimischen Nachbarn von einst dort schwer möglich sein.

Verständigung setzt erst einmal Gerechtigkeit voraus! So hilft die IGFM, indem sie zu einer Internationalen Petition aufruft. In Den Haag sollte ein Kriegsverbrechertribunal errichtet werden, das die Verantwortlichen des Islamischen Staates (IS) für den Völkermord an religiösen und ethnischen Minderheiten zur Rechenschaft zieht. Die Internationale Petition soll am 1. September, dem internationalen Antikriegstag, den Vereinten Nationen in Genf übergeben werden.

 

Mit Grausamkeiten gegenüber Christen können längst nicht nur Islamisten aufwarten: Auch das Regime in Nordkorea ragt heraus, da es als das Land mit der schärfsten Christenverfolgung gilt. Seine Juche-Ideologie ist an die kommunistische Weltanschauung angelehnt, scharf-stalinistisch, unterscheidet sich aber von ihr im Wesentlichen durch ihren nationalistischen Ansatz. Und eben dadurch, dass sie der Kim-Familie eine Erlöser-ähnliche Rolle zuschreibt. Als ich im März dieses Jahres den ehemaligen nordkoreanischen Armeeangehörigen Kim Young-il, nicht verwandt oder verschwägert mit der Diktatorendynastie, sondern in Opposition zu ihr, zum Christentum in Nordkorea befragte, antwortete er: „Als ich in Nordkorea lebte, habe ich nie einen Menschen getroffen, der sich zu etwas anderem bekannte, als zu einer materialistischen und rationalistischen Weltsicht.“

In Artikel 68 der nordkoreanischen Verfassung heißt es: „Religion darf nicht als Vorwand dienen, fremde Mächte hereinzuziehen oder den Staat oder die soziale Ordnung zu schädigen“. Damit ist jeder, der sich für Religion interessiert, in Nordkorea gleich gewarnt: Wer will sich schon einem schweren Verdacht aussetzen:

Bereits der Besitz einer Bibel ist illegal und kann zu Konzentrationslagerhaft und Hinrichtung führen.

Die IGFM ist beim Kongress „Freude am Glauben“ mit einer Ausstellung oben auf der Empore vertreten. Wir stellen darin Opfer von Christenverfolgung vor. Einem Opfer konnten wir nicht einmal ein Gesicht zuordnen, so geheim ist ihr Schicksal. Es handelt um die nordkoreanische Christin Ri Hyon Ok, von der wir nur wissen, dass sie in der nordwestlichen Stadt Ryongchin, nahe der chinesischen Grenze, am 16. Juni 2009 im Alter von 33 Jahren öffentlich erschossen wurde. Ihr vermeintliches Verbrechen: Die Familienmutter hatte Bibeln verteilt. Offiziell wurde ihr Spionage vorgeworfen. Der Vorwurf folgt dem Muster, das in der Verfassung vorgegeben ist.

 

Ebenso traurig und typisch ist hierbei die Sippenhaft: Ihre Eltern, ihr Mann und ihre drei Kinder kamen am Tag nach der Hinrichtung in das Sammellager Haengyon für politische Gefangene.

Schätzungsweise 50.000 Häftlinge sind dort lebenslang unter grausamen Bedingungen ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt. Viele sterben an Unterernährung oder werden wegen Fluchtversuchen oder Lebensmitteldiebstählen hingerichtet. Schätzungen gehen von sechs großen Zwangsarbeitslagern mit rund 150.000 bis 200.000 Insassen in Nordkorea aus.

 

Wie viele Christen darunter sind, ist nicht bekannt. Die wenigen namentlich Bekannten sind meist ausländische Staatsbürger. Für sie können wir uns mit Unterschriftenaktionen in Form von Appellen und Petitionen, bei Mahnwachen, an Infoständen oder mit Patenschaftsprojekten stark machen.

Die IGFM hat im Jahr 2001 ein schönes Projekt ins Leben gerufen, um verfolgte Christen dem Vergessen zu entreißen und sie – wie ihr Schöpfer selbst – beim Namen zu nennen. Wir nominieren jeden Monat „einen Gefangenen des Monats“, zusammen mit der Evangelischen Nachrichtenagentur idea.

Im April haben wir den in Nordkorea inhaftierten Freikirchenpastor Hyeon Soo Lim benannt und zu seiner Unterstützung aufgerufen. Wir fordern die sofortige Freilassung des seit Februar vorigen Jahres inhaftierten 60-jährigen Kanadiers. Wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten ist er zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden, quasi ein Todesurteil. Am Beispiel dieses gebürtigen Südkoreaners zeigt sich, wie das Mitleid mit den vielen Hungernden in Nordkorea allein, aktive und bekennende Christen dazu treibt, das gefährliche Wagnis der Einreise ins Reich von Kim Jong-un auf sich zu nehmen. Dieser Pastor war sogar vielfach dort hingereist, um ein Waisenhaus und eine Kinderkrippe zu unterstützen. Ich hoffe, wir erreichen mit allen Helfern die Freilassung. Schon jetzt hat sein Lebenszeugnis zumindest die Welt um seine Projekte herum erneuert.

In unserer Ausstellung zeigen wir aus Vietnam die Aufnahme von einer Reliquienkapelle für sechs Märtyrer. Sie wurden schon im 19. Jahrhundert, genau im Jahr 1862 in der Provinz Nam Dinh hingerichtet. Als Papst Johannes Paul II. sie am 19. Juni 1988 zusammen mit 111 weiteren Märtyrern heiligsprach, kritisierte die Regierung in Hanoi dies noch scharf. Nun wird der Verfolgungsopfer vergangener Jahrhunderte alljährlich am 18. November sehr feierlich gedacht. Die frühere Unterdrückung ist einer immer noch starken Kontrolle gewichen. In Vietnam zeigt sich Religion jetzt deutlich anders als noch vor Jahrzehnten. Die kommunistische Führung möchte aber ihr Machtmonopol erhalten. Zündstoff liegt im christlichen Verständnis von Menschenwürde, Freiheit und Gleichberechtigung. Forderungen nach Achtung bürgerlicher und politischer Rechte werden leicht als „Propaganda gegen den Staat“ ausgelegt und mit Repressionen beantwortet. Wer seinen Glauben nicht in staatlich genehmigten Organisationen praktiziert, findet sich bald als Dissident wieder.

 

In China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, ähnelt die Lage der Christen der in Vietnam in einer Hinsicht: Auch dort löst das Wirken des Heiligen Geistes bei den Mächtigen offenbar ein beklemmendes Gefühl von Kontrollverlust aus: Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft haben den christlichen Glauben nicht auszulöschen vermocht. Dort lebt der Glaube – auch wenn sich Religionsgemeinschaften laut Staatspräsident Xi Jinping der Partei unterzuordnen haben.

Christen im Reich der Mitte sind, abhängig von ihrer Konfession oder der Provinz, in der sie leben, unterschiedlichen staatlichen Einschränkungen oder Schikanen ausgesetzt. Erkenntnissen der IGFM zufolge werden gerade viele Anhänger von Hauskirchen Opfer von sogar grausamen Übergriffen. Auch riskieren sie Zwangsschließungen, Beschlagnahmungen und Haftstrafen auf der Grundlage fabrizierter Vorwürfe. Evangelische wie katholische Christen, ob offiziell registriert oder informell konstituiert, sind gleichermaßen von einer Kampagne in der Provinz Zhejiang betroffen. Sie dient der „Sinisierung“ und Unterwerfung unter die Kontrolle der Kommunistischen Partei. Seit zwei Jahren werden auf Betreiben der Provinzregierung Kreuze von den Kirchen abgerissen. In diesem Zusammenhang kam es in der letzten Zeit zu Verhaftungen nicht nur von Protestierenden, sondern auch von Anwälten und Pastoren, die die Autoritäten auf diese Weise zum Schweigen gebracht haben.

In Asien sind es aber nicht nur kommunistische Ideologen, die den Christen das Leben schwer machen. Meine Damen und Herren! Die Friedfertigkeit fernöstlicher Religionen in ihrer alltäglichen Wirklichkeit wird überschätzt.

In mehrheitlich buddhistischen Sri Lanka etwa gibt es radikale Buddhisten im Mönchsgewand, die Mobs aufstacheln und anführen und Angehörige religiöser Minderheiten attackieren, wie die fast zehn Prozent Muslime und mehr als sieben Prozent Christen.

 

Ein Blick nach Indien weckt unsere Sorge um die religiösen Minderheiten dort, insbesondere der Christen, die ein sehr tapferes Bild abgeben.

 

Ein Bild in unserer Ausstellung zeigt kleine Mädchen aus Dalit-Familien. Die Dalits werden von vielen Menschen in Indien, gerade in ländlichen Regionen, immer noch als „Unberührbare“ betrachtet. Viele von ihnen, die Christen werden, hoffen auf ein Ende der Unterdrückung, ein Entkommen aus dem Kasten-System. Einige Anti-Bekehrungsgesetze sehen für sie unter anderem aber noch härtere Strafen vor, als für sogenannte Kasten-Inder. Gesetze gegen den Religionsübertritt gelten in mehreren Bundesstaaten. Hindunationalistische Politiker treten für ihre Ausweitung ein, wie etwa von der Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei). Sie stellte von 1998 bis 2004 den Premierminister und tut dies jetzt wieder seit 2014. Sie ist eng vernetzt mit einer Bewegung, die eine Ideologie propagiert, die Hindutva heißt: Der zufolge gehört Indien allein den Hindus. Alle Muslime und Christen seien zwangsbekehrte Hindus, die zurückbekehrt werden müssten. Extremisten fühlen sich so ermutigt, gegen Minderheiten gewalttätig zu werden. Die Polizei nimmt wiederholt Christen unter dem Verdacht fest, sich illegal religiös betätigt zu haben. Der Erzbischof von Bhopal, Leo Cornelio, brachte noch etwas Wichtiges auf den Punkt. Er sagte. „Das Christentum stößt in Indien außerdem auf Widerstand, weil es auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten steht.“

 

Mit Blick in die Kulturgeschichte der Menschheit stellen Sie fest, dass die Einheit in der Religion der politischen Einheit und damit der Ausdehnung des Einflusses der Mächtigen oft vorausging. Darum trifft die Vorstellung von Willensfreiheit, die etwa Juden und Christen miteinander teilen, und die sich auch in dem von den Vereinten Nationen definierten Begriff von Religionsfreiheit widerspiegelt, heute noch auf massiven Widerstand. Die Feinde der Vielfalt und die Feinde des freien Willens sind es, die religiöse Minderheiten verfolgen. Das ist etwas, was sie alle gemeinsam haben: Die Schergen von Kim Jong-un und die Schlächter vom IS. Die Christen, die diese Ideen verbreiten und in vielen Ländern als Minderheiten leben, werden so für sie zu beliebten Zielscheiben.

 

Mein nigerianischer Kollege, Emmanuel Ogbunwezeh, sagt immer: „Nord-Nigeria ist einer der gefährlichsten Orte auf der Welt, ein Christ zu sein.“ Im Norden Nigerias, der mehrheitlich muslimisch besiedelt ist, führten um die Jahrtausendwende zwölf Bundesstaaten die Rechtsprechung auf der Grundlage der Scharia ein. Die Geschichte lehrt: Wenn rechtsstaatliche Prinzipien einer radikal-religiösen Doktrin weichen, geschieht dies zu Lasten religiöser Minderheiten, in diesem Fall der Christen. Eine zweite Geißel sind die gewaltbereiten Fanatiker, die sie als „Ungläubige“ verfolgen. Zu dieser Gewalt kommt noch der Terror der Organisation Boko Haram hinzu. Ab dem Jahr 2002 wollte sie mit der Korruption der politischen Klasse aufräumen. Nach 2009 hat sie sich radikalisiert und überzieht seit September 2010 insbesondere den Norden Nigerias mit ihrem Kampf zur Durchsetzung ihrer fundamentalistischen Ideologie, angeblich „im Namen Gottes“. Auch sie steht mit dem IS in Verbindung. Anscheinend tritt die größte und leistungsfähigste Armee Afrikas nur halbherzig der Kampagne tödlicher Gewalt entgegen. Als Folge haben schon 2,5 Millionen Nigerianer ihre Heimat verlassen müssen, darunter viele Christen. Zehn Prozent davon flohen ins Ausland, neunzig Prozent zog es in den mehrheitlich christlich bewohnten Süden.

 

Die Krake IS greift auch nach Pakistan.

Der pakistanische Staatsgründer Muhammad Ali Jinnah, ein Schiit mit christlicher Schulbildung, war überzeugt, für alle Menschen in seinem Land, einschließlich der Angehörigen der religiösen Minderheiten, eine Heimat geschaffen zu haben. Dennoch werden dort Ahmadi-Muslime verfolgt und für die 2,7 Prozent Christen wird das Leben zunehmend unerträglich. Die fortschreitend islamische Prägung des Rechtssystems schränkt die Religionsfreiheit massiv ein. Die zentralen Instrumente zur Unterjochung Andersdenkender sind die Blasphemiegesetze:

fadenscheinige Vorwürfe, falsche Anklagen, unfaire Gerichtsurteile und sogar Lynchjustiz sind die Folgen ihres Missbrauchs für persönliche und familiäre Rachefeldzüge.

In Pakistan verläuft wirklich die Frontlinie zwischen einer seit mehr als zwei Jahrtausenden gewachsenen Vorstellung von Menschenwürde und Menschenrechten einerseits und einer rigiden Schariakasuistik andererseits, die das Recht auf Leben nicht als einen absoluten Wert anerkennt. Die Regierung zeigt sich als zu nachgiebig gegenüber den Extremisten. Regelmäßig schaffen die Gewaltbereiten mit strategischen Terrorakten, die Aufrechterhaltung der Blasphemie-Gesetze anzumahnen. Sie erinnern sich vielleicht an das Jahr 2011, als unser Papa emerito Benedikt XVI. – damals noch im Amt –  bei seinem traditionellen Neujahrsempfang für die Diplomaten am Heiligen Stuhl die pakistanische Regierung kritisierte. Er rief dazu auf, die Blasphemiegesetze abzuschaffen, mit der Begründung, dass offensichtlich der Gesetzestext als Vorwand dient, Ungerechtigkeit und Gewalt gegen die religiösen Minderheiten zu provozieren. Der Generalsekretär der Islamischen Partei Pakistans nannte das eine „Einmischung in interne und religiöse Angelegenheiten“. Er warf ihm vor, Worte gesprochen zu haben, „um die ganze Welt in einen blutigen Krieg zu stürzen“.

 

Der pakistanische Provinzgouverneur Salman Taseer, der sich für die wegen Blasphemie angeklagte Asia Bibi einsetzte, wurde von seinem Leibwächter Mumtaz Qadri ermordet. Islamistisch angefeuerte Massen verehren den Mörder als Helden der Scharia. Auf einem Foto in unserer Ausstellung ist die Rechtsanwältin Aneeqa Maria Anthony (The Voice Society, Lahore) mit einem Opfer von Polizeigewalt zu sehen, das sie in den Arm nimmt. Es handelt sich um eine junge Christin, die parteiische Polizisten misshandelten und beleidigten, als sie einen Familienangehörigen der Blasphemie verdächtigten.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen Exkurs darüber, welche herausragende Rolle Menschenrechtsverteidiger und unsere Unterstützung für sie an dieser Front spielen. Unsere Projektpartnerin in der Provinz Punjab, die erwähnte katholische Rechtsanwältin Aneeqa Maria, wurde schon mehrfach gefährlich bedroht, als Ernte ihrer Arbeit für unschuldig der Blasphemie Verdächtige. Drei Anschlägen auf ihr Leben ist sie knapp entkommen, einer bereits auf dem Weg zum ersten Mandanten, dem auch Blasphemie vorgeworfen wurde. Im August 2008 verwickelten sie muslimische Rechtsanwaltskollegen in ein Gespräch über den Propheten Mohammed und warfen ihr anschließend Blasphemie vor. Sie floh außer Landes. Anfang Dezember 2015 verbreiteten Islamisten in Lahore eine Fatwa (ein islamisches Rechtsgutachten), unterzeichnet von einem dem IS nahestehenden Mufti, die zur Tötung von Aneeqa Anthony, ihrer Familie und aller, die ihr helfen, aufrief. Wochenlang musste sie sich deswegen verstecken. Wir hielten über Kurznachrichten Kontakt zu ihr.

Immer wieder bat sie uns in den kurzen Botschaften um unser Gebet. Neben allem praktischen Einsatz ist oft die einzige Möglichkeit der Hilfe der Zuspruch, die moralische Stärkung und eben für die Gläubigen das Gebet. Ich darf an dieser Stelle einmal öffentlich allen danken, die mit gebetet haben.

 

Einer ihrer Fälle, ist ein besonders grausames Schicksal, das international Aufsehen erregte: Die 26-jährige vierfache Familienmutter Shama Bibi und ihr 28-jähriger Ehemann Shazad Masih, beide Christen, wurden Anfang November 2014 beschuldigt, Seiten aus einer Koranausgabe verbrannt zu haben. Wie Sklaven arbeiteten sie in einer Ziegelei. Der Eigentümer hatte laut Polizeierkenntnissen einen islamischen Prediger dazu angestiftet, das Ehepaar öffentlich der Blasphemie zu beschuldigen. Ein fanatisierter Mob zerrte sie schließlich um die Ziegelei herum, schlug sie halbtot, und stieß sie anschließend in einen Ziegelofen, wo sie zu Tode kamen.

Als „barbarischen Akt“ hatte seinerzeit Kardinal Jean-Louis Tauran in einem Interview mit Radio Vatikan den Fall bezeichnet. Der Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog ist eigentlich für die höflichen und diplomatischen Worte gegenüber der islamischen Welt bekannt. Aber er sagte: „Noch schlimmer daran ist, dass man sich dabei in besonderer Weise auf die Religion beruft. Eine Religion kann solche Akte, solche Verbrechen, nicht rechtfertigen. Es ist das Blasphemie-Gesetz, das ein Problem darstellt.“ Er forderte insbesondere auch islamische Autoritäten auf, die Tat zu brandmarken. Solidarität sei der Weg, um dauerhaft Christen, die täglich Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt sind, Hoffnung zu geben.

 

Weit weniger scharf verurteilt als die Beleidigung Gottes oder des Propheten Mohammed, aber auch nicht harmlos betrachtet die Türkei die Beleidigung ihres Staatsoberhauptes. Wir wissen nicht, ob wir nach türkischer Auffassung den Tatbestand in unserer Ausstellung erfüllen:

 

Wir erinnern darin an die Opfer einzelner Fanatiker, prominente Attentate, bei denen Indizien auch auf die Verstrickung staatlicher Stellen hindeuten. Sie sind Symptome einer Fanatisierung, die der Hass auf alles Andersartige gebiert. Es gibt dieses Stereotyp in der Türkei, demzufolge ein echter Türke nur ein sunnitischer Muslim sein kann.

Himmelschreiend mit Blick auf das EU-Beitrittsbegehren ist das Schweigen zum Völkermord – bis heute. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten die Christen noch rund 20 Prozent der Bevölkerung in dem Gebiet, das Papst Johannes Paul II. als „heiliges Land der Urkirche“ bezeichnete. Nun sind es nur etwa 0,2 Prozent. Der größte Aderlass geschah eben vor mehr als 101 Jahren mit dem Genozid an christlichen Minderheiten. Der kleine Rest der Christen im Land ist immer noch benachteiligt, trotz des säkularen Charakters des Staates und der in der Verfassung aufgeführten Religionsfreiheit. Deshalb fordert die IGFM unter anderem die Anerkennung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten, die Aufhebung des Verbots zur Erteilung aramäischen Sprachunterrichts der syrisch-orthodoxen Kirche, die vollständige Rückgabe oder Restitution enteigneter Kirchenimmobilien und die Öffnung des griechisch-orthodoxen Priesterseminars und des Seminars der Armenier.

Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. formulierte das Ziel: „Wir wollen, dass die neue Verfassung die Verfassung aller wird. Wir wollen keine Bürger zweiter Klasse sein.“

 

Nicht allein unsere Forderungen werden die Lage der Bedrängten ändern. Auch Sie, sehr geehrte Damen und Herren, können konkret handeln. Ein christliches Lebenszeugnis, das die Welt verändern kann, abzulegen, dazu sind nicht nur die Bedrängten aufgerufen. Mindestens so sehr wir dies hier, die wir ungleich mehr Freiheit genießen: Papst Franziskus widmet sich in seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium auch dem Fürbittgebet. Er schreibt:

„Das Fürbittgebet ist wie ein „Sauerteig“ im Schoß der Dreifaltigkeit. Es ist ein Eingehen in den Vater und ein Entdecken neuer Dimensionen, welche die konkreten Situationen erhellen und verändern.“

Das heißt doch, wenn ich das recht verstehe, dass es unser Herz öffnet, wenn wir die Situation der Bedrängten betrachten. Ihr Zeugnis ist für sich schon ein Appell an uns: Wir sind aufgerufen, Hilfe für die Betroffenen zu leisten und Menschenrechtsverteidiger, die für die Rechte der Christen vor Ort eintreten, zu unterstützen und damit die Einheit zu bezeugen, von der ich eingangs sprach.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!